SPIELRÄUME WEITEN
Im Traum sieht Petrus ein Tuch vom Himmel schweben, darin sind Vögel und Kriechtiere zu sehen. Eine Stimme befiehlt ihm, sie zu schlachten und davon zu essen. Petrus weigert sich, ja, vielleicht ekelt er sich sogar, denn es sind Tiere, die er aufgrund seines jüdischen Glaubens nicht essen darf. Dreimal geschieht das und schließlich sagt die Stimme im Traum: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht unrein.“ Als später der römische Hauptmann Kornelius nach ihm fragt, überträgt Petrus das, was der Traum ihm gezeigt hat, auf Menschen, die für ihn „Fremde“ sind. Eigentlich darf er keinen Kontakt zu ihnen haben. Durch seinen Traum aber ist Petrus so frei, Kornelius zu treffen. „Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf“, so begründet er es in einer Rede vor unterschiedlichsten Menschen. Ein Satz, der Grenzen sprengen kann, die in den Köpfen zuerst, aber auch die aus Mauern. Und, so erzählt die Geschichte weiter, tatsächlich kommt der Heilige Geist über alle, die Petrus zuhören, „Zugehörige“ und „Fremde“. Als wolle er dessen Worte bekräftigen. Jeder Mensch ist heilig. Keine einzige Person ist unrein. Sätze, in denen die Liebe wohnt. Wenn wir ihnen glauben und sie in uns tragen, verwandeln sie uns. Sie machen verrohte Seelen durchlässig und mitfühlend. Sie hüten und pflegen das Miteinander, damit es nicht verkommt. Gott weitet unsere Spielräume und damit auch seine eigenen. Denn seine Liebe will sich ausbreiten und mit ihrer Schönheit die Welt umspannen.
Tina Willms
VERTRAUEN AUF GOTT
Wie werden Menschen mit schweren Schicksalsschlägen fertig ‒ zum Beispiel mit traumatischen Erfahrungen in der Kindheit? Die Resilienzforschung fragt nach den Faktoren, die es einem Menschen ermöglichen, auch unter widrigen Umständen ein gutes Leben zu führen. Neben verlässlichen Beziehungen und Optimismus gehört auch die Spiritualität zu einer der Säulen der Widerstandsfähigkeit. Unumgänglich ist es für den Betroffenen, dass er seine schwierige Situation als Herausforderung akzeptiert.
Das Buch des Propheten Joel ist ein anschauliches Beispiel für den resilienten Umgang mit einem traumatischen Erlebnis. Es schildert eine Heuschreckenplage, die wie ein feindliches Heer das Land verwüstet und ausgetrocknet hat. Der Prophet Joel verstummt nicht resigniert, sondern er klagt Gott, was geschehen ist. Und er empfiehlt seinen Landsleuten, dass sie ihr Verhältnis zu Gott ins Reine bringen: „Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum HERRN, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld und es reut ihn das Unheil.“ (Joel 2,13) Das Vertrauen auf Gott eröffnet eine neue Zukunft.
Georg Neumark besingt die christliche
Resilienz so (EG 369,7):
„Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“
Reinhard Ellsel
WENN ALLES PASST
Wie fühlt sich das an, wenn eine Sache einfach richtig gut passt? Wenn man im Begriff ist, sich zu verlieben oder die Chemie mit einer neuen Kollegin auf Anhieb stimmt? Bei mir ist es ein warmes Gefühl im Bauch, ein Lächeln. Aber auch Aufregung und ein bisschen Unruhe, weil ich mich freue.
Die Jünger:innen von Jesus sagen über so eine Situation: „Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete?“ (Lk 24,32).
Zuerst dachten sie, dass ein Fremder mit ihnen über die Bibel gesprochen hat. Sie haben ihn auf dem Weg in das Dorf Emmaus getroffen, ein paar Tage nach Jesu Hinrichtung. Was der Mann ihnen erzählt hat, hat sie berührt. Sie haben gemerkt: Hier passt etwas. Sie sind nicht beeindruckt, weil ihnen ein wichtiger Mensch irgendetwas erzählt. Es ist vielmehr umgekehrt: Dieser fremde Mensch spricht sich in ihr Herz. Sie sind offen dafür, sich auf ihn einzulassen, obwohl sie noch um Jesus trauern. Am Abend bitten sie den Fremden darum, bei ihnen zu bleiben. Und da gibt er sich zu erkennen: Es ist der auferstandene Jesus selbst. Das, was er gesagt hat, hat die Jünger zum Leuchten gebracht, auch bevor sie ihn erkannt haben.
In dieser Geschichte steckt viel Weisheit. Es ist schwierig, auch in einer tragischen Situation offenzubleiben und sich auf Neues einzulassen. Es ist nicht selbstverständlich, zu merken, wenn etwas passt - die Jünger:innen stellen auch im Nachhinein erst fest, dass die Begegnung besonders war. Aber genau in diesen Momenten, im ganz unerwartet Passenden, kann man Jesus begegnen ‒ und erkennt ihn oft erst im Nachhinein.
Anna Berting
SPEISEKARTEN
Ich gehe durch die Stadt und lese Speisekarten: Pizza, Spaghetti Bolognese, Gyros, Kebab, Ayran, Pelmeni, Nigiri. So eine Fülle! Selbst in meiner kleinen Stadt.
Noch vor 60 Jahren hat kaum jemand gewusst, was sich hinter „Spaghetti Bolognese“ verbirgt. Heute gibt es kaum jemanden, der es nicht weiß. Italienische Gastarbeiter – wie man
sie nannte – haben vor gut einem halben Jahrhundert auch das mit nach Deutschland gebracht, was sie gerne essen. Pizza und Pasta zum Beispiel. Aus Griechenland kamen mit den
Menschen Gyros, Fladenbrot und Feta zu uns, aus der Türkei Kebab und Ayran. In den 80er Jahren brachten die sogenannten Russlanddeutschen Pelmeni und Borschtsch ins Land. Auf
Märkten oder Festivals kann ich mittlerweile ukrainische und albanische Spezialitäten probieren.
Manchmal komme ich ins Gespräch mit den Menschen, die sie mir anbieten. Viele von ihnen sind nicht freiwillig nach Deutschland gekommen. Den Gastarbeitern bot sich hier, was sie in ihren Ländern kaum finden konnten: Arbeit. Manche blieben hier und holten ihre Angehörigen nach. Aber oft waren es erst die Kinder und Kindeskinder, die sich hier wirklich zu Hause fühlten. Andere Menschen aus dem Iran oder der Ukraine sind vor Kriegen oder Verfolgung geflohen. Viele möchten hier arbeiten und etwas zurückgeben an das Land, das sie aufgenommen hat.
Speisekarten erzählen mir von der Geschichte des Landes, in dem ich lebe. Sie sind für mich ein Symbol, welch ein Reichtum entstehen kann, wenn Menschen nach Deutschland kommen
und willkommen geheißen werden, wenn sie sich hier einbringen und ein gutes Miteinander gelingt.
Tina Willms
EINE EINLADUNG
„Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.“ Mit diesem Vers endet der Psalm, der von König David stammt. Er
spiegelt einen Moment des tiefen Vertrauens und der Dankbarkeit wider, in dem David sich auf Gottes Führung und Schutz verlässt. Er findet hier Trost in der Gewissheit, dass Gott ihn nicht nur schützt, sondern auch den Weg zum wahren Leben zeigt. Dieser Lobgesang ist mehr als nur ein persönliches Bekenntnis. Er lädt uns ein, uns David anzuschließen und unser Vertrauen auf Gott zu setzen. Der Weg Gottes ist nicht nur ein Pfad der Gebote und Weisungen, sondern ein Weg der Freude und des ewigen Friedens. Lasst uns lernen, wie David zu loben, auch in schwierigen Zeiten, und erkennen, dass wahre Erfüllung und Freude in der Nähe Gottes liegen.
Katharina Hempel
SEGNET DIE, DIE EUCH VERFLUCHEN
Im Supermarkt streiten sich zwei Kinder. Geschwister, vermutlich. Ich denke zuerst noch: „Ach, niedlich.“ Doch es bleibt nicht bei den kleinen Neckereien der einen Schwester. Die andere lässt das nicht auf sich sitzen und zieht der ersten an den Haaren. Als Antwort bekommt sie einen Tritt gegen das Schienbein und kurz darauf weinen beide kläglich.
So weit, so normal. Auch viele Erwachsene streiten sich so. Ich kenne diesen Reflex auch von mir: Wenn jemand mich angreift, mich ärgert oder bloßstellt, will ich zurückschlagen. Mich wehren. Aktiv werden. Nicht selten entsteht daraus eine Spirale der Gewalt, bei der niemand mehr gewinnen kann.
Jesus schlägt deshalb vor, in so einer Situation anders zu reagieren. Gar nicht so, wie es dem ersten Impuls entspricht. Im Lukasevangelium steht es folgendermaßen: „Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ (Lk 6,27-28)
Viele Menschen finden diese Aufforderung skandalös oder dumm. Wer sich nicht wehrt, gilt als schwach. Dabei liegt eine unheimliche Stärke darin, nicht zurückzuschlagen. Nicht
Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern der Spirale der Gewalt zu entkommen. Ich stelle mir vor, wie die beiden Schwestern als Erwachsene in einen Streit geraten und die zweite einen Moment innehält. Wie sie in die Augen ihrer Schwester blickt. Und sie sich dann friedlich auseinandersetzen. So zu handeln, darin liegt viel Kraft und viel Glaube.
Anna Berting